Von Behörden in Österreich und Deutschland wurde ein Konzept von Geruchsleitwerten (GLW) für die Bewertung der Innenraumluftqualität veröffentlicht.
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von solchen Leitwerten darf gestellt werden, da der Geruchssinn mit dem „Geschmackssinn“ im Mundraum verkoppelt ist, und der „Geschmack“ nicht neutral ist. Der Geruchssinn kann stark von negativen Erlebnissen beeinflusst werden, wodurch die Empfindlichkeitschwelle und damit auch die „Geruchsakzeptanz“ extrem sinken kann. Zudem erhöhen solche behördlichen Leitwerte die Gefahr eines Rechts- und Sachverständigenstreits etwa bei Neubauten und der Endabnahme.
Inwieweit riecht ein Baustoff oder Innenraum normal oder abnormal, akzeptabel oder inakzeptabel, schwach oder intensiv?
Wissenschaftlich betrachtet sind organische Materialien wie Holz geruchsintensiver als anorganische wie Glas, Stein oder Metall. Wer also nach einem Umzug ins neue Heim zum ersten Mal Kontakt mit einem neuen Baustoff hat, wird wahrnehmen, dass Neubauten geruchsintensiver sind als Altbauwohnungen.
Raumluftkontrollmessungen nach Baufertigstellung haben gezeigt, dass solche Geruchsleitwerte besonders Holzbauer in eine missliche Lage bringen können. Denn selbst bei Einhaltung der VOC-Raumluftwerte kann es sein, dass Geruchsleitwerte überschritten werden und die Bewohner einen „inakzeptablen“ Geruch beanstanden. In solchen Fällen kann man nur hoffen, dass die Bauherren den nicht eingehaltenen Geruchsleitwert als nur vorrübergehenden Neubaugeruch akzeptiert und die Schlussrechnung bezahlt. Oftmals verschwindet der Neugeruch, wenn nach Einzug verstärkt gelüftet wird.
Die Erklärung in einer Veröffentlichung des Umweltbundesamtes bietet zwar eine Erklärung zum Geruchsstress, aber keine juristische Lösung:
Gemäß Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:148–153 bietet der Entwurf der Ad-hoc-Arbeitsgruppe im Umweltbundesamt eine „gesundheitlich-hygienische Beurteilung von Geruchsstoffen in der Innenraumluft mithilfe von Geruchsleitwerten“. Die Einstufung der Geruchsintensität wird nach VDI 3882 Blatt 1 vorgenommen. Die vorläufigen Geruchsleitwerte l und ll sind in einer Tabelle zusammengefasst und es werden offensichtlich bekannte Gerüche wie Lösungsmittel, Holz und Pflanzengerüche bewertet. Die Geruchsschwellenwerte sind auf die Geruchsleitwerte abgestimmt. "Nach allgemeiner toxikologischer Auffassung geht von Geruchsstoffen, die eine Geruchswahrnehmung auslösen, keine neurotoxische Wirkung aus, sofern keine neurogene Irritation (trigeminale Reizung) beteiligt ist. Gleichwohl sind Geruchsstoffe im weitesten Sinne als „neuroaktiv“ anzusehen: Gerüche können Befinden, Verhalten und Leistungen modulieren. Dabei sind persönliche Bewertungen von Geruchsempfindungen von wesentlicher Bedeutung und etwaige Geruchswirkungen hängen von individuellen Erfahrungen und interindividuellen Unterschieden ab.“
„Einige Substanzen weisen sehr niedrige Geruchswahrnehmungsschwellen auf, die unter Umstanden unter ihren jeweiligen Richtwerten I (Vorsorgewerten) für die Innenraumluft liegen können. Damit stellt sich die Frage, wie diese Geruchsstoffe zu bewerten sind und wie ein ausreichender Schutz auch vor der geruchlichen Wirkung derartiger Substanzen gewährleistet werden kann.“ (BGes.Bl. S. 148)
Unsicherheiten bei der Festlegung der Geruchsleitwerte
Das Geruchsleitwertkonzept ist ein personengebundenes Prüfverfahren gemäß ISO 16000-28, VDI 4302 und wir sehen das Verfahren als orientierende Vorprüfung für einen anschließenden normgerechten Messgeräteeinsatz. Für eine Beweisführung ist das Verfahren eher nicht geeignet, denn die (erhöhte) Messunsicherheit eines personengebundenen Verfahrens führt bei der Schadstoff- oder Quellensuche eher zur Verunsicherung. Ein unsicheres Indizienverfahren durch „Geruchsprüfungen“ sollte juristisch nicht aufgewertet werden, da fehlerbehaftete Geruchsschwellen und daraus abgeleitete Geruchsleitwerte sonst in Zukunft Miet-, Kauf- oder Werkverträge erheblich stören könnten. Zudem muss man berücksichtigen, dass Geruchswahrnehmungen alters-, krankheits- und geschlechtsabhängig sind und daher müssen Geruchsprüfer ein schwieriges Zulassungsverfahren bestehen.
Messbedingungen und störende Nebengerüche
Mangelnde Erfahrung des Geruchsprüfers und der Ablenkungsfaktor vor Ort stellen weitere Problemstellungen dar. Zudem spielen die persönlichen Neigungen und Vorlieben bei Geruchsprüfern eine enorme Rolle. Bei einer „störenden“ Wahrnehmung des Geruchs wird die Geruchsschwelle sinken und bei einer „nicht-störenden“ Wahrnehmung wird die Geruchsschwelle und Akzeptanz bei dem Geruchsprüfer erfahrungsgemäß steigen. Zudem ist ein grundlegendes Problem, dass die Kombinations- und Summationswirkung verschiedener geruchsaktiver Substanzen den Geruchssinn stark irritieren kann.
Juristische Probleme wegen Anmeldung eines Vertragsmangels bei mangelnder Geruchsakzeptanz der Bauherrschaft werden daher zukünftig zunehmen, wenn kein Lüftungsmanagement bzw. Lüftungskonzept vorliegt. In Klassenräumen ohne Lüftungsanlagen sollte ohnehin alle 45 Minuten zur Einhaltung der CO2-Leitwerte gelüftet werden. In Bürogebäuden wäre dies schwierig einzuhalten, da die Lüftungstätigkeit eher vergessen wird oder die Zeit nicht zur Verfügung steht. In Schlaf- oder Wohnräumen wird eine stündliche Lüftung nicht möglich sein.
Wegen drohenden Geruchsreklamationen raten wir Bauunternehmen vorsorglich Bedenken anzumelden, wenn sie für einen Auftraggeber ein Gebäude errichten oder sanieren sollen, für das keine normgerechte Lüftungsplanung vorliegt. Bei Geruchsbeanstandungen muss zur Verifizierung der Geruchsindizien zusätzlich immer eine normgerechte Raumluftmessung folgen gemäß DIN ISO 16000 inkl. den Carbonsäuren und Phthalsäureanhydrid.
Autor: Karl-Heinz Weinisch
Bildquellen: Titelbild von Robert Simon